“Jungfernfahrt der Stühle” ... |
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Platznehmen im Alltag Helmut Bahls Stuhl-Aktion zum Musikfest (HJL) Er sieht seine drei Meter hohen, viele Kilo schweren, wuchtigen Stühle als Einladung an alle zum “Platznehmen”. Für ihn bedeuten die Monumental-Möbel, die er schon einmal beim Gelsenkirchener Kultur-Spektakel im vergangenen Jahr aufstellen ließ, ,,eine soziale Skulptur an sich". Helmut Bahl, buerscher Bildhauer und Maler, der in Marl seine Kunstbunker-Aktion inzwischen beendete (die WAZ berichtete), will nun seine Stuhl-Stücke ab 31. Mai an verschiedenen Plätzen und Zentren Gelsenkirchens präsentieren. Beim Westfälischen Musikfest will er die drei Riesen-Stücke erstmals in diesem Jahr installieren. Anschließend wandern sie von Monat zu Monat zu anderen Begegnungsstätten, überall sollen sie von Bahls Idee künden: ,,Meine Stühle sind nicht der Heilige oder der Elektrische Stuhl, nicht der Beichtstuhl oder der Parteienthron - sie beinhalten Gemeinnützigkeit und Mitmenschlichkeit, aber auch Anklage und Gesellschaftskritik. Zu meinen Stühlen kommen, das heißt: sich zu erinnern an Ruhe und Muße als wichtigste Eigenschaften von Lebensqualität, Kommunikation und Dialog." Ein hoher Anspruch, den Bahl sich und seinen Gelsenkirchener Mitbürgern, die er in sein Konzept einbezieht, stellt. Er will mit dieser Initiative auf die Kultur und dle Kunst in dieser Stadt aufmerksam machen. Seine Stühle mögen also vordergründig unübersehbare Skulpturen-Klötze sein, doch wer sich mit dem Sinn des Stuhls, des Sitzens, des Meditierens, der Um-Sicht beschäftigt, schaut etwas tiefer in Bahls Thema hinein. Die Stadt hilft dem Künstler beim Transport der gigantischen Kunst-Möbel. Sie sollen zum kulturellen Denk-Mal für das laufende |ahr werden. Eine wandernde Stuhl-Show.,, Mir fällt es schwer, heute, in einer Zeit der Muskelspiele, des Säbelrasselns und Sich-auf-die-Nase-hauens, die Welt beschwingt und heiter zu sehen." Aber vielleicht könnten, so der Gelsenkirchener, seine Stühle zur allgemeinen Verständigung und zu einem neuen Kulturbewußtsein beitragen. Helmut Bahls künstlerische Utopie,.. Mai/ 86 |
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Die Stühle
Bekanntlich hat der Monat Januar seinen Namen von dem Gott Janus, und dieser steht mil seinen zwei Ge- sichtern - sie blicken nach rückwärts und vorwärts - zum Jahresanfang gerade an der richtigen Stelle. Man muß nämlich - und das wußten die Alten - die Vergangenheit kennen, um aus ihr für die Zukunft zu lernen. Wir sagten es womögiich schon an anderer Stelle: ln der Art und Weise, wie die Menschen zusammen leben und wie sich dieses Zusammenleben entwickelt hat ist nichts, wie man annehmen könnte, dem Zufall über- lassen, Vielmehr ist eines aus dem anderen entstanden, und das Frühere wurde zur Voraussetzung des Späteren. ln Buer zum Beispiel hätten sich kaum zu so früher Zeit Menschen niedergelassen, wenn nlcht eben hier eine bereits im 9. Jahrhundert be- zeichnete wichtige Wegkreuzung ge- wesen wäre. Gebildet wurde diese durch die heutige Cranger Straße (von der die Hochstaße eine Verlängerung ist) einerseits und der Gladbecker bzw. Westerholter Straße anderer- seits. Später kam noch die von Essen heraufführende heutige Horster Stra- ße hinzu. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die Fruchtbarkeit des Landrückens, auf dem, wiederum nicht zufällig, die alten Ortschaften zwischen Osterfeld und Recklinghau- sen liegen. Und das alles bot die Voraussetzungen dafür, daß der Köl- ner Kurfürst Dietrich von Moers Buer zum 14. April 1448 die Freiheitsrechte zusprach. ln jüngster Zeit ist eine weitere, gewissermaßen “innere" Wegkreuzung entstanden. Gemeint ist jene Stelle, wo die neue Führung der Hagenstraße und die von dor Horster Straße herkommende Rottmannsiepe Bzw. Ophofstraße sich begegnen. Hier hat der heimlsche Maler und Objektemacher Helmut Bahl vor sei- nem neuen Atelier ,,cautio ars” (es wurde bereits darüber berichtet) sehr sinnvoll und zeichenhaft überdi- mensionale Stühle aufgestellt. ln Ge- danken sitze ich oft darauf und sinnie- re. lst diese bereits jetzt stark fre- quentierte Kreuzung eine Vorausset- zung für neue Verkehrsentwicklun- gen? Wird diesmal gelingen, was schon seit Großvaters Zeit regelmäßig scheiterte? Und wird dieser Kraftakt erstmals die Geschäftsstruktur nach Westen erweitern und damit der Hochstraße ihre bislang streng gehütete "Alleinherrschaft”, die wiederum- wie gesagt - gegründet ist auf der Voraussetzung, daß sie eben die Tochter oder ganz einfach die Verlängerung der von der Emscher herauf- kommenden alten Kohlenstraße ist und dem eingangs erwähnten alten Verkehrskreuz näherliegt? So gesehen, sind Bahls Stühle ge- rade an dieser Stelle mehr als nur der skurrile Einfall eines Künstlers. ln sol- chen Zusammenhängen möchte ich den einen oder anderen für die Ver- kehrsplanung verantwortlichen Zeit- genossen einladen, mit mir möglichst oft und besonders auch zum Anfang des Jahres im Geiste auf diesen "me- ditativen Sitzmöbeln" Platz zu neh- men und die Szene zu betrachten. Die Zeit dafür wäre wohl nicht vertan.
BZ/ Januar 88/ rubro |